Deutsch-Französische Agentur für den Austausch in der beruflichen Bildung

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Ein Abenteuer am anderen Ende der Welt

Am 25. Februar 2023 sind 9 Auszubildende der Bildungszentren des Baugewerbes BBZ Krefeld/Düsseldorf/Wesel zu einem 3-wöchigen Aufenthalt auf der französischen Insel La Réunion aufgebrochen. Im Rahmen des durch ProTandem begleiteten Austauschprogramms in der beruflichen Bildung hatten die BerufsschülerInnen die Möglichkeit, einen Einblick in das Leben und den Arbeitsalltag im über 10.000 km entfernten Saint Denis kennenzulernen.

Die Zeit auf diesem eindrucksvollen Stückchen Frankreich im Indischen Ozean war in vielerlei Hinsicht ein einmaliges und unvergessliches Erlebnis für die jungen HandwerkerInnen.

In der ersten Woche hat die Gruppe gemeinsam mit reunionesischen SchülerInnen unter Anleitung der Lehrkärfte des Lycée Professionnel de l’Horizon ein Bauprojekt auf dem Schulgelände umgesetzt. Dabei haben sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Arbeitsmaterialien, -techniken sowie -abläufen beobachtet, die ihnen neue Perspektiven auf verschiedene Arbeitsweisen ermöglicht haben.

In Woche 2 und 3 durften die BerufsschülerInnen aus Krefeld und Umgebung im Rahmen eines Praktikums unterschiedliche lokale Betriebe kennenlernen. Jeweils zu zweit oder zu dritt waren sie auf verschiedenen Baustellen im Norden der Insel im Einsatz und konnten dort ihre Fachkenntnisse einbringen und erweitern.

Bei den Besuchen von zwei Großbaustellen (u.a. am Flughafen in Saint Denis) wurden viele Fragen zu Arbeitstechniken, Materialien, Arbeitsschutz und Vorgaben, Planung, zeitlichen Abläufen und finanziellen Aspekten gestellt und so manche zunächst überraschende Antwort ließ sich schnell im lokalen Kontext nachvollziehen. Während einiges erstaunlich vertraut erschien, blieben andere Aspekte einfach rätselhaft anders.

Der Arbeits- und Lebensrhythmus ist teilweise aufgrund der klimatischen und geografischen Gegebenheiten deutlich anders als die jungen HandwerkerInnen es von zu Hause gewohnt waren. Hinzu kommen auch technische Hürden: Die Bodentypologie, die Topografie, die Untergrundbeschaffenheit und das besondere klimatische Umfeld (Wirbelstürme, starke Niederschlagsmengen) in Verbindung mit den städtebaulichen Zwängen (Verdichtung der Bebauung und Ausdehnung der Bauten in die Höhe oder auf abschüssiges Gelände) waren alles neue Gegebenheiten, die die jungen BerufsanfängerInnen auf der Insel entdecken konnten.

 Das Arbeiten bei rund 30° C mit langer Arbeitskleidung zum Schutz vor der intensiven Sonne war zuweilen eine echte Herausforderung. Es war ebenfalls eine Umstellung, dass abends ab zirka 18:45 Uhr bereits alles dunkel ist und Spaziergänge allein nach Einbruch der Dunkelheit einfach nicht üblich sind.

Die Gruppe bestand aus 4 jungen Frauen (2 Stukkateurinnen, 1 Fliesenlegerin und 1 Dachdeckerin) und 5 jungen Männern (2 Maurer, 1 Zimmermann, 1 Estrichleger und 1 Trockenbautechniker). Der erfreulich hohe Anteil an weiblichen Teilnehmerinnen war am Lycée sehr gern gesehen, besonders da vor Ort zum Weltfrauentag ein eigenes Programm aufgesetzt war, in das die Gruppe aus Deutschland direkt aktiv mit eingebunden worden ist. Junge Frauen in Bauberufen sieht man auf La Réunion noch sehr selten, weshalb die Handwerkerinnen aus Deutschland gleichermaßen als Vorbild und Inspiration für andere junge Frauen gesehen wurden, als auch den weit überwiegend männlichen Schülern des Lycée Professionnel de l’Horizon ermöglicht haben, in gemischten Teams auf den Baustellen zu arbeiten. Die Lehrer des Lycée waren begeistert von der Motivation, der Eigeninitiative und dem Zusammenhalt der gesamten Austauschgruppe.

Bereits am ersten Tag war auch eine Delegation der lokalen Schulbehörde vor Ort, sowie der 2004 bester Handwerkskünstler in der Kategorie Mosaikfliesen ( „Meilleur ouvrier de France carrelage mosaiste 2004“)  David Milly, und zwei Auszubildende aus Deutschland durften direkt an seinen Workshops teilnehmen.

Einige Teilnehmende brachten bereits Französischkenntnisse mit, während andere noch ganz neu im Umgang mit der französischen Sprache waren. Daher war der Tandemsprachkurs mit den zukünftigen Austauschteilnehmenden aus La Réunion ein sehr hilfreicher und beliebter Programmpunkt. In dieser Art von Sprachkurs, welcher in beiden Sprachen gleichzeitig unterrichtet wird, konnten die Teilnehmenden auf unterhaltsame Art und Weise miteinander und voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen. Sie durften gemeinsam Grundkenntnisse in Deutsch und Französisch aufbauen, Kommunikationsstrategien entwickeln und durch die gemeinsamen Aktivitäten eventuell noch vorhandene Berührungsängste abbauen.

Aufgrund der gebirgigen Landschaft sind an einigen Orten auf der Insel Seilbahnen zum Transport von Personen oder Lebensmitteln zu finden – so auch auf dem Weg zur Schule. Der Blick über die Insel und aufs Meer aus luftiger Höhe war besonders an sonnigen Tagen ein beliebtes Highlight für die jungen HandwerkerInnen.

Neben dem berufspraktischen Teil hat das Team des Lycée Professionnel de l’Horizon ein umfangreiches Kulturprogramm auf die Beine gestellt, und der Gruppe abwechslungsreiche Einblicke in die Insel ermöglicht. Die herzliche Art und das hohe Maß an leidenschaftlichem, persönlichem Engagement haben die Auszubildenden vom ersten Tag an beeindruckt und wurde mit viel Freude, Wertschätzung und Dankbarkeit zurückgegeben. Besonders die Deutschlehrerin Mireilla Ramin und der für den berufspraktischen Teil der Ausbildung verantwortliche Richard Ethève haben mit ihrer über 15-jährigen Erfahrung und Begeisterung, sowie mit der Unterstützung vieler Kollegen vor Ort diesen Austausch so abwechslungsreich und unvergesslich gemacht.

Der mehrstündige unwegsame Abstieg zum Grand Bassin beispielsweise war eine echte körperliche Herausforderung, die mit einem Bad unter dem berühmten Wasserfall und einem traditionell kreolischen Abendessen vom Holzofen belohnt wurde. Da dieses Tal nur zu Fuß oder mit dem Hubschrauber erreichbar ist, stand nach der gemeinsamen Übernachtung am nächsten Tag der Aufstieg an. Dieser Ausflug hat bei so manchem Teilnehmenden zu einem „richtigen Inselfeeling“ geführt.

Zwar konnte das Paragliding aufgrund des wechselhaften Wetters leider nicht stattfinden, dafür war das Wildwasser Rafting in der Gruppe umso aufregender.

Auch eine Stadtführung durch Saint Denis, ein Wochenende am Strand im Westen der Insel, eine Fahrt um die Insel herum über die Lavastraße, der Besuch eines Handwerkerdorfs in der Inselmitte, sowie eine Wanderung zu einem kleinen Krater des immer wieder aktiven Vulkans Piton de la Fournaise im Süden haben es den jungen Teilnehmenden aus Deutschland ermöglicht, die Insel aus ganz verschiedenen Blickwinkeln kennenzulernen.

Die historisch bedingte kulturelle Vielfalt auf der Insel zeigt sich nicht zuletzt in den vielfältigen regionalen Gerichten, die Zutaten aus verschiedenen Ländern harmonisch vereinen. Diese Harmonie ist auch bei den Menschen zu beobachten – obwohl die unterschiedliche Herkunft offensichtlich ist, fühlen und leben alle gemeinsam als Réunionesen. Diese Leichtigkeit des wertschätzenden Miteinanders hat viele der Teilnehmenden gleichermaßen beeindruckt wie inspiriert.